Foto-Essay von Martin Langer

marienborner elegie

in Product Placement,PUBLIKATIONEN

Der Hamburger Fotograf Martin Langer hat seine Bilder zum subjektiven Bildband „Marienborner Elegie“ verfasst.

Die Marienborner haben nun eine Telefonzelle. Und ein Gewerbegebiet. Und einen Höchststand der Arbeitslosigkeit… Und auch hier hat es den Anschein, als habe man die Menschen einfach vergessen. Marienborn ist bis auf weiteres entlassen…

Angstschweiß und Herzklopfen verbinden sich für viele Menschen mit den grauen Bauten am Rande der Autobahn, die einst die Grenzübergangsstelle Helmstedt-Marienborn bildeten. Bis zu tausend DDR-Bürger waren an diesem größten Grenzkontrollpunkt Europas beschäftigt. Heute hat hier jeder freie Fahrt …

Spezieller sieht es da im Asylbewerberwohnheim im Ortsteil „Autobahn“ aus. Es scheint, als sei hier, wo die DDR-Grenztruppen kaserniert waren, ein Teil der Mauer stehen geblieben. Vergitterte Fenster mit rostigen Eisenstangen
begrüßen den Besucher. Obwohl 150 Asylbewerber in den tristen Wohnblocks unweit der Grenzübergangsstelle untergebracht sind, ist kaum jemand zu sehen. Es hat den Anschein, als habe man die Menschen hier vergessen…

Das Hinterland des Kontrollmonstrums läßt Staunen. 1990 sowieso, bei meinem ersten Besuch, mit neugierigen und unerfahrenen Wessi-Augen. Weil „wie bei uns, nur anders“, aber auch heute noch, 20 Jahre später…

Der Ort, nach dem der Grenzübergang benannt wurde, ist der älteste Wallfahrtsort Deutschlands. Unterhalb des Kirchenhügels erhebt sich eine klassizistische Orangerie. In dem alten Gemäuer hat sich nun ein Bistro eingenistet, das wie eine Grenzer-Kantine anmutet und den verwitterten Charme der DDR-Gastronomie atmet. „3 Bier zum Preis von 4“, lockt ein Schild vor der Tür, die sich nur an Wochenenden öffnet. Ein Touristenmagnet ist das nicht.

Der steht nebenan, in Harbke, auf einem Hügel, und ist eine Iljuschin 18, umgebaut zu Café und Standesamt. Mittlerweile aber erneut verwaist…
Ein ehemaliger riesiger Gutshof in Harbke, hart an der ehemaligen Grenze, nur wenige Kilometer vor Helmstedt, seit DDR-Zeiten eine LPG. Jahrhunderte alte Gebäude, die Geschichte ausstrahlen, entbieten einen Anblick wie nach
Kriegszerstörung…

Bald soll eine Attraktion dazukommen. Da nämlich, wo der Braunkohletagebau die Umgebung Harbkes in eine Mondlandschaft verwandelte, entsteht ein riesiger, grenzüberschreitender See, der das sachsen-anhaltinische
Marienborner Land mit dem niedersächsischen Helmstedt verbindet. Der See wächst bereits…

Alljährlich, zum Jahrestag des Mauerfalls, marschieren Bundeswehr-Reservisten über den ehemaligen Todesstreifen.
Heute ist die Grenze nur noch zu erahnen. Ganz selbstverständlich fahren die Marienborner und ihre alten Nachbarn nach Helmstedt zum Einkaufen. Doch die Euphorie hat sich gelegt, der Wegfall der Zonenrand-Förderung und der
Subventionsfluss in Richtung Osten machen Helmstedt zu schaffen, die Einwohnerzahl schrumpft. Damit gleichen sich die Orte östlich und westlich der Grenze an…

Marienborner Elegie
84 Seiten in Farbe, 25×20 cm, Hardcover.
Erschienen und zu beziehen via www.blurb.com
Oder direkt beim Autor: sehr@seltsam.cc

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